116
Geschichte.
Tetzel hatte auf der Universität Leipzig mit großem Eifer
studirt; vorzüglich fand er an der Redekunst besondern Geschmacks
und da seinem Fleiße die schönsten natürlichen Anlagen zur Seite
standen, so konnte es nicht fehlen, daß er sich bald vor den Meisten
auszeichnete. Der sieißige Besuch der Predigten der Dominikaner
hatte ihm Vorliebe für diesen Orden eingeflößt, so daß' er das
Ordenskleid nahm. Er wollte ein Redner für das Volk wer-
den; er wollte, wie es der Zweck dieses Ordens forderte, in
einfachen ungekünstelten Worten das Volk erbauen, belehren,
erschüttern und umwandeln. Sein Heller Verstand, sein gutes
Gedächtniß, sein beredter Mund, sein lebendiger Vortrag mtd
seine starke, männliche Stimme machten ihn bald zum beliebtesten
Prediger des Volkes. An mehreren Orten waren die größten
Kirchen zu klein, um die Menge seiner Zuhörer zu fassen; in
Leipzig mußten ihm Erker und Altane der Häuser zur Kanzel,
der weite Marktplatz zum Tempel dienen.
Diesen Mann wählte der Erzbischof von Mainz zur Aus-
führung des oben angegebenen Zweckes. Und wie stets feine.
Predigten den größten Erfolg hatten, wie die-Sammlungen, die
er dabei zu wohlthätigen Zwecken veranstaltete, immer sehr reich-
lich ausfielen: so auch jetzt.
Den Ablaßpredigern war, wie immer, streng zur Pflicht
gemacht worden, das Volk über das Wesen und die Bedeutung
des Ablasses gehörig zu unterrichten; jedoch mögen irrige Ansich-
ten sich eingeschlichen und Mißbräuche vorgekommen sein. Der
gemeine Mann hielt aus Mißverständniß den gekauften Ablaß-
zettel für einen Nachlaß der Sündenschuld selbst, ohne an die
vorgeschriebene Buße und Besserung zu denken. Dieses allen
kirchlichen Lehren und Vorschriften zuwiderlaufende Verfahren
erregte bei allen Wohlgesinnten großen Unwillen. Doch mit
Unrecht treffen die meisten Vorwürfe Tetzel; man bürdet ihm
allein auf, was vielleicht einige seiner Gehilfen gefehlt haben;
und nicht Alles ist gegründet, was man den Ablaßpredigern zur
Last legt, denn in Zeiten der Aufregung mangelt es nicht an
Uebertreibungen, an Entstellungen der Thatsachen. -—
Damals lebte als Lehrer an der Hochschule zu Wittenberg der
Augustinermönch Martin Luther, der wegen seiner Gelehrsam-
keit und Sittlichkeit in allgemeinem Ansehen stand. Er war der
Sohn eines armen Bergmannes und in Eisleben geboren. Nach-
dem er die lateinischen Schulen zu Magdeburg, dann zu Eisenach
besucht hatte, ging er aus die Hochschule zu Erfurt. Hier wid-
mete er sich den Religionswissenschaften mit großem Eifer und
trat in das dortige Augustinerkloster. Das einförmige, abgeschlos-
sene Leben aber machte ihn bald schwermüthig. Seine Seele war
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Kirchmtrennung. Luther.
119
Allein jenes Stillschweigen wurde leider nicht gehalten, da
die Parteien zu aufgeregt waren. Einer der größten Gegner-
Luthers war Eck, ein sehr gelehrter und in der Bibel vorzüglich
bewanderter Mann. Dieser forderte Luther nebst dessen Freunden
zu einem Wortkampfe nach Leipzig heraus. Hier stritt man mit
großer Erbitterung, und Luther ging schon so weit, daß er das
Ansehen des Papstes, als des Oberhauptes der christlichen Kirche,
verwarf, von der lebenden Ueberlieferung nichts
hören und Alles nur aus der todten Schrift beweisen wollte,
aus der Schrift, die er nach seiner eigenen Meinung
erklärte, aus der er nur das nahm, was ihm zu-
sagte; weshalb er dort auch den Brief des heiligen Jakobus
für unecht ausgab, weil da außer dem Glauben auch die guten
Werke zur Seligkeit nothwendig gefordert werden.
Im folgenden Jahre vergrößerte sich die Kirchenspaltung,
indem Luther die Lossagung vom Papste, die Aufhebung der
klösterlichen Gelübde, der Fasttage und vieler Feste forderte.
Kurz nachher trat er gegen die Messe als ein heiliges Opfer
auf, tadelte die Austheilung des Abendmahles unter einer
Gestalt, und nahm nur drei Sakramente an.
Endlich kam eine päpstliche Verordnung oder Bulle, welche
eine Anzahl Sätze aus Luthers Schriften als Irrthümer bezeich-
nete und den Urheber mit dein Banne bedrohte, wenn er nicht
binnen zwei Monaten widerriefe. Die Bulle wirkte aber wenig,
weil die Verkündigung derselben gerade dem größten Gegner
Luthers, dem Doktor Eck, aufgetragen war; denn man hielt sie
für das Erzeugniß persönlicher Rache. Luther entschied sich nun
zu einem Schritte, der ihn für immer von der katholischen Kirche
trennte: er verbrannte in Wittenberg öffentlich den päpstlichen
Bannbrief und das kirchliche Gesetzbuch. - ;
Unterdessen war Karl V. zum deutschen Kaiser erwählt. Er
hätte einen Reichstag nach Worms ausgeschrieben; auf diesem
sollten neben manchen weltlichen besonders die kirchlichen Ange-
legenheiten zur Sprache gebracht und entschieden werden. Fast
alle deutschen Fürsten waren auf demselben anwesend. In ihrer
Mitte trat der päpstliche Legat auf und hielt eine feierliche Rede,
in welcher er bewies, daß Luther wirklich Sätze lehre, die von
der Kirche verdammt worden seien. Dann meinte er: „es sei
ganz zwecklos, ihn nach Worms zu berufen; denn die Erfahrung
habe gezeigt, daß er sich durchaus von Niemandem belehren lasse,
sondern in seinen Irrthümern hartnäckig beharre." Allein die
meisten Fürsten stellten dem Kaiser vor, wie gefährlich es sei,
einen Mann ungehört zu verdammen, dessen Lehren schon so
zahlreiche Anhänger gefunden hätten, und Karl stimmte ihnen
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Extrahierte Personennamen: Karl_V. Karl_V. Karl Karl
Der Bauernkrieg. Münzer.
121
habe , was den Weisen und Verständigen verborgen sei." Sobald
, Luther von diesen Gräueln hörte, verließ er gleich, selbst gegen
den Willen seines Kurfürsten, die Wartburg und eilte nach
Wittenberg. Acht Tage hinter einander hielt er donnernde Pre-
digten gegen die Ungebundenheit und Bilderstürmerei, wodurch
er die Ruhe wieder herstellte. Von nun an blieb Luther in
Wittenberg; seine Lehre verbreitete sich in Sachsen und den
angrenzenden Ländern. Nach und nach richtete er den Gottesdienst
so ein, wie er gegenwärtig in den evangelischen Kirchen gehalten
wird. Er starb auf einer Reise zu Eisleben im Jahre 1546.
Der Kurfürst Johann Friedrich ließ ihn in Wittenberg begraben.
Fast zu gleicher Zeit mit Luther trat in der Schweiz Ulrich
Zwingli, Pfarrer zu Zürich, als Stifter der sogenannten refor-
mirten Kirche auf. In den meisten Punkten war er mit Luther
einverstanden; nur in der Lehre vom Abendmahl wich er von ihm
ab. Herüber erhob sich ein großer Streit zwischen beiden, und
sie trennten sich mit ihren Anhängern völlig. Die Lehre des
Zwingli fand nicht nur in der Schweiz, sondern auch im südlichen
Deutschland, in den Niederlanden und Frankreich vielen Eingang.
Einer der thätigsten Beförderer derselben war Calvin in Genf.
Er stammte aus Frankreich, trat schon mit dem zwanzigsten Jahre
in den geistlichen Stand, nahm dann Zwinglis Grundsätze an
und mußte deshalb aus seinem Vaterlande flüchten. In Genf
zeichnete er sich als reformirter Prediger aus und stieg zu hohem
Ansehen. Ein Schandfleck bleibt in seinem Leben die Schuld an
der Hinrichtung Servets, eines Arztes aus Spanien. Calvin
haßte den Mann, weil er ein Buch über das Christenthum geschrie-
den hatte, das nicht nach dem Sinne des Genfer Glaubenslehrers
war. Als nun Servet nach Genf kam, ließ ihn derselbe Calvin,
der das traurige Ende des Huß nicht genug beklagen konnte, ins
Gefängniß setzen und zum- Feuertode verurtheilen. Vergebens
bat und flehte Servet: „Wenn ich geirrt habe," sprach er, „so
habe ich es aus Unwissenheit gethan; an meinem Tode kann euch
ja nichts gelegen sein." Aber nichts half, der Verkündiger der
christlichen Milde hatte kein Mitleid mit dem Unglücklichen; er
wurde grausam mit Feuer zu Tode gequält.
> Der Saucrnkrieg. Münzer.
Im Jahre 1525 brachen in mehreren Gegenden Deutschlands
Unruhen unter dem Landvolke aus. Die armen Bauern seufzten
damals unter schweren Lasten. Die Fürsten legten ihnen drückende
Abgaben auf, und die Gutsherren vermehrten sie noch. Zuerst
empörten sich die Bauern des Abts von Kempten, dann verbreitete
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Extrahierte Personennamen: Johann_Friedrich Johann Friedrich Ulrich
Zwingli Calvin Calvin
Extrahierte Ortsnamen: Wartburg Wittenberg Wittenberg Sachsen Wittenberg Deutschland Niederlanden Frankreich Genf Frankreich Genf Spanien Genf Deutschlands
Äirchmtrcnimng. Luther.
117
durch vielfache Zweifel beängstigt, so daß er das Mitleid dev
Ordensbrüder erregte. Ans dieser drückenden Lage befreite ihn
ver Vorgesetzte seines Ordens, Staupitz, indem er ihm Trost
zusprach und ihn dem Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem
Weisen, als Lehrer für die Hochschule zu Wittenberg empfahl.
Freudig begab sich Luther nach dem dasigen Kloster, übernahm
die Lehrstelle und später das Predigtamt an der Schloßkirche.
* Die Augustiner und Dominikaner lebten schon seit längerer
Zeit wegen verschiedener Lehrmeinungen in Streit. Der Kurfürst
Friedrich hatte sich im Jahre 1516 einen Ablaß zur Vermehrung
des Einkommens seiner Schloßkirche in Wittenberg erwirkt; ans
einem andern sollte daselbst das Kloster der Augustiner erbaut
werden. Beide Ablässe durften, wie alle übrigen, nicht abge-
halten werden, so lange der höhere, allgemeinere Zweck der
gesammten Christenheit nicht erfüllt war. —
Luther trat daher mit Entschiedenheit gegen den von Tetzel
und seinen Genossen verkündigten Ablaß aus; seine Predigten
regten mächtig das Volk auf.
Es war am 31. Oktober 1517, als Luther 95 Lehrsätze in
lateinischer Sprache, die sich besonders aus den Ablaß bezogen, an
die Schloßkirche zu Wittenberg anschlagen ließ und alle Gelehrten
aufforderte, dieselben zu prüfen. Das gab die Veranlassung zur
Kirchentrennung, an die Luther damals noch gar nicht dachte;
denn er hatte seine Lehrsätze nicht als unwidersprechliche Wahr-
heiten, sondern lediglich als Zweifel vorgebracht, die ihm auf-
gestoßen seien und die ersetzt, blos um die Wahrheit zu ermitteln,
der öffentlichen Prüfung unterwerfe. Auch lag in dem Anschlagen
dieser Lehrsätze nichts Auffallendes, denn das geschah damals
gewöhnlich, wenn die Gelehrten sich zu einem Wortstreite, Dis-
putation genannt, herausforderten. — Tetzel aber und mit ihm
mehrere seines Ordens wurden über die Kühnheit des Augustiner-
mönchs höchst entrüstet. In Predigten und Schriften zogen sie
mit Schmähungen gegen die Lehrsätze los, schalten den Verfasser
einen Ketzer und behaupteten, daß er damit das Ansehen des
Papstes und der Kirche angreife. So heftige Ausfälle reizten
Luther zu einer noch heftigeren Vertheidigung, bei welcher ihn
seine Ordensbrüder, die Augustiner, eifrig unterstützten. Nun
traten beide Theile feindselig gegen einander auf, verloren aber
im hitzigen Kampfe der Meinungen nur zu oft die Ruhe des
Urtheils sowohl, als des Gemüthes. Bald griff Luther auch
echt katholische Glaubenssätze an, wie den von der Sünden-
vergebung und von dem Werthe der guten Werke.
Was Anfangs nur eine Angelegenheit der Gelehrten war,
wurde auch bald Sache des Volkes. Dieses fing an, sich in zwei
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_dem
Weisen Friedrich Friedrich Friedrich
120
Geschichte.
bei. Der Kurfürst von Sachsen wurde jetzt aufgefordert, Luther
zum Reichstage zu schicken. Dieser trat, nach Zusicherung eines
freien Geleites, die Reise an.
Die erste Frage, welche man in der glänzenden Versammlung
vor Kaiser, Kurfürsten, Herzogen, Bischöfen und Prälaten an
Luther richtete, war: ob er die Bücher, die man ihm voxzeigte,
für die seinigen anerkenne; und als er sich für deren Verfasser
bekannte, fragte man ihn weiter: ob er bereit sei, ihren Inhalt
zu widerrufen. In diesem entscheidenden Augenblicke schien ihn die
Zuversicht, mit welcher er gekommen war, zu verlassen; denn er
bat sich Bedenkzeit aus. Seine Bitte ward ihm gewährt, doch mit
der Bemerkung, daß er ja Zeit genug gehabt habe, zuvor darüber
nachzudenken. Desto größer war aber die Entschlossenheit, mit
welcher er am folgenden Tage seine Grundsätze vertheidigte und
die Aufforderung zum Widerrufe mit der Erklärung von sich wies:
„sein Gewissen erlaube ihm nicht, zu widerrufen, so lange er nicht
überzeugt sei, daß seine Meinung der Bibel widerspreche." Nun
entließ man ihn mit dem Bescheide, das Weitere abzuwarten.
Der Kaiser machte aber den Reichsständen in einem Schreiben
bekannt: er werde Alles anwenden, daß der Wahn eines Mön-
ches nicht weiter um sich greife; dieser streite gegen die ganze
Christenheit, welche vor tausend Jahren gelebt habe, und noch
lebe; und wenn die Neuerung durchgehe, so seien alle Christen
bis dahin irrig gewesen. Dagegen hielt er sein kaiserliches Wort
und bewilligte ihm den Schutz zur Rückreise auf 21 Tage. Allein
für seine Sicherheit war schon gesorgt. Auf dem Wege durch
den Thüringer Wald wurde Luther von verkappten Reitern schein-
bar überfallen, fortgeführt und nach der Wartburg bei Eisenach
gebracht. Hier lebte er in der Verborgenheit und übersetzte die
Bibel; seine Gegner aber glaubten Anfangs, er sei todt. Dann
wurde gegen ihn die Reichsacht ausgesprochen wie gegen Alle
die, welche ihm anhängen oder ihn schützen würden.
Während Luther auf der Wartburg war, fielen empörende
Auftritte in Wittenberg vor. Karlstadt, Luthers Freund, trieb
hier allerlei Frevel. Nicht genug, daß er die ganze Gestalt des
öffentlichen Gottesdienstes umänderte; er rannte an der Spitze
eines rohen Haufens gleichgesinnter Mönche, Studenten und
Bauern, wie ein Rasender durch die Kirchen, zerschlug Altäre
und heilige Gefäße, warf Bilder und Beichtstühle hinaus und
verübte rohe Gewalt gegen die, welche sich ihm widersetzten. Oft
lief er in die Werkstätten der Gerber und Schuhmacher, um sich
von diesen Leuten die heilige Schrift auslegen zu lassen. Wenn
sie sich mit ihrer Unwissenheit entschuldigten, so sagte er ihnen
den biblischen Spruch, „daß Gott den Einfältigen gsoffenbaret
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